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Dokument 2 Scheitert die Integration? - Debatte im Schul- und Kulturausschuss

Schon vor der in Dokument 1 wiedergegebenen Elterninitiative gab es eine öffentliche Diskussion über die Situation im Grundschulzentrum Duderstadt mit seinen beiden voneinander getrennten Grundschulen, wie der folgende Bericht des Eichsfelder Tageblattes zeigt:

Eichsfelder Tageblatt vom 10.3.1998

Grundschulen/Elternrat äußert Bedenken
Polarisierung der Schulen befürchtet
Für ein einheitliches Grundschulzentrum in Duderstadt oder eine gleichmäßige Verteilung der Schüler auf beide Grundschulen plädiert der Schulelternrat der Janusz-Korczak-Grundschule. Die Eltern fürchten, daß sich die Situation an ihrer Schule nach einer Öffnung der St. Elisabeth-Schule verschärfen würde.

Duderstadt (ku). Hintergrund der Elternsorgen ist das am 1. Oktober in Kraft tretende neue niedersächsische Schulgesetz, das konfessionell gebundenen Schulen wie der katholischen St. Elisabeth-Schule verbesserte Möglichkeiten einräumt, auch Kinder anderer Konfessionen aufzunehmen. Die Eltern haben Bedenken, daß dann verstärkt begabte deutsche Schüler an der St. Elisabeth-Schule angemeldet, andere nicht angenommen würden und sich die Polarisierung der beiden Grundschulen vertiefen würde.

"Falls dieses Vorhaben zur Durchführung kommt, bleibt als 'Restschule' für Ausländer und nicht aufgenommene deutsche Schüler die Janusz-Korczak-Schule übrig", schreibt der Schulelternrat in einem offenen Brief an die Stadtratsfraktionen und den Duderstädter Schulausschuß. Die Schülerzusammensetzung an der Janusz-Korczak-Schule habe sich seit 1990 stark verändert. Es gebe dort zusätzlich zur gesetzlichen Unterrichtskürzung in den Grundschulen eine hohe Fluktuation, die das soziale Lernen und die Stoffvermittlung stark gefährde.

Der Anteil der ausländischen und ausgesiedelten Schüler, die besonderer Förderung bedürften, betrage bereits rund 45 Prozent in den ersten Klassen. Eine Integration könne nur gelingen, wenn sich Schüler aus allen Bevölkerungsgruppen an einer Schule befinden würden. Die Hauptlast der Integration ausländischer Schüler nur einer Schule aufzubürden, könne nicht im Interesse einer gesunden Schulpolitik liegen. Die Lasten müßten auf alle Schultern gleichmäßig verteilt werden.

Für das Schuljahr 1998/99 seien ausschließlich katholische Kinder angemeldet worden, sagt Karl-Heinz Meyna, Leiter der St. Elisabeth-Schule und Schulausschußvorsitzender. Er verstehe die Meinung und Ängste der Eltern, doch vorerst sei keine andere Praxis absehbar, und alles weitere müsse abgewartet werden.

SPD, WDB und Grüne haben für die nächste Sitzung des Duderstädter Schul- und Kulturausschusses am Donnerstag, 12. März, ab 16.45 Uhr im historischen Rathaus einen Antrag zu diesem Thema gestellt und darum gebeten, zur Berichterstattung die Schulleiter beider Grundschulen einzuladen.

Auf der zwei Tage später, am 12. März 1998, stattfindenden Sitzung des Schul- und Kulturausschusses war auf Antrag zunächst zu klären, wie man der Tatsache Rechnung tragen wolle, dass der Ausschussvorsitzende zugleich auch der Leiter der St.-Elisabeth-Schule und damit "persönlich beteiligt" sei*. Die Ratsmehrheit beschloss, je nach Situation zu verfahren, was dann auch zur zeitweisen Abtretung des Vorsitzes an andere Ratsmitglieder führte.

An der öffentlichen Sitzung nahmen außerordentlich viele Zuhörer teil, etwa 70 an der Zahl, darunter sehr viele Einwohner Duderstadts ausländischer Herkunft. Die Feststellung des Stadtdirektors, die dieser auf Grund eines Briefes des Leiters der St.-Elisabeth-Schule treffen musste, dass es nämlich "keine Öffnung der St.-Elisabeth-Schule für andere Bekenntnisse geben" werde, fand zwar die Zustimmung der Mehrheit der Ratsmitglieder, nicht aber die der Zuhörer. Offensichtlich war man - so eine Bürgerin - von der Vorstellung ausgegangen, "daß sich die St.-Elisabeth-Schule nur die Rosinen aus dem Kuchen herauszieht", und das könne es ja nicht sein.
*Die in Anführungszeichen gesetzten Textteile sind dem Protokoll der Sitzung des Schul- und Kulturausschusses entnommen.

Das Eichsfelder Tageblatt berichtete über die Sitzung des Schulausschusses in seiner Ausgabe vom 14.3.1998:

Grundschulen/Ausländerkinder sollen auf zwei Schulen verteilt werden
Integration droht zu scheitern
Die Integrationsmöglichkeiten für ausländische Kinder sind an der Janusz-Korczack-Grundschule an eine Grenze geraten. Im Schulausschuß wurde jetzt beraten, ob auch die katholische St. Elisabeth-Grundschule in die Integrationsarbeit mit einbezogen werden kann.
Von Sebastian Rübbert
Duderstadt. Zur Einleitung ins Problem legte Stadtdirektor Wolfgang Nolte anhand aktuell erhobenen Zahlenmaterials dar, daß der Ausländeranteil im Grundschulalter kontinuierlich steigt. Er liegt derzeit für Klasse 1 bei 45 Prozent, für Klasse 2 bei 44 Prozent, für Klasse 3 bei 20 Prozent und für Klasse 4 bei 26 Prozent. Auch auf die kommenden Jahre gesehen, zeigte das Zahlenmaterial deutlich, daß der Anteil der ausländischen Kinder kontinuierlich weiter steige.
Diesen Faden griff Wolfgang Hirschfeld von den Grünen auf und argumentierte, es gehe nicht an, daß fast alle ausländischen Schulkinder an der Janusz-Korczak-Grundschule unterrichtet würden. Dies erfordere schließlich auch besondere pädagogische Leistungen, allein schon wegen der Sprachprobleme.
Ziel müsse sein, beide Grundschulen, also auch die katholische St. Elisabeth-Schule, in die Integrationsarbeit mit einzubeziehen. Das könne über ein Quotierung erfolgen oder aber auch über die Bildung eines Grundschulzentrums mit beiden Schulen unter einem Dach.
Helmut Schütze, Leiter der Janusz-Korczak-Schule, erläuterte, daß man es bislang als besondere Herausforderung empfunden habe, die Integrationsarbeit zu leisten. Es seien aber jetzt einfach nicht mehr genug deutsche Schüler verblieben, um die Integrationsarbeit an ihren ausländischen Klassenkameraden leisten zu können. Auch Schütze votierte für die Bildung eines Grundschulzentrums.

Fraktionen beraten
Die ursprünglich entwickelte Idee, einen runden Tisch zu bilden, an dem die Probleme bis zum Schuljahr 1999 gelöst werden könnten, wurde von der Ausschußmehrheit verworfen. Mehrheitlich beschlossen wurde, das Thema in die Fraktionen zu geben und im Verwaltungsausschuß über weitere Schritte zu beschließen.

Die Idee, die Gesamtproblematik am "Runden Tisch" zu beraten, war zwar durch die Ratsmehrheit verworfen worden; sie war damit aber längst nicht tot, wie das Eichsfelder Tageblatt am 15. 4. 1998 berichtete:

Grundschulen/Ratsgruppe fordert Runden Tisch
Integration schafft Probleme
Duderstadt (ku.) Ein öffentlicher Runder Tisch soll nach Lösungsmöglichkeiten für die Integration und Förderung ausgesiedelter und ausländischer Kinder an der beiden Duderstädter Grundschulen sorgen. Diese Forderung erhebt die von WDB, Grünen und dem Ratsherren Hans-Georg Schwedhelm gebildete Gruppe in einem Ratsantrag.
Hintergrund der Forderung ist das bereits im Schulausschuß diskutierte Problem, wie die Kinder auf die Janusz-Korczak- und die St. Elisabeth-Grundschule verteilt werden sollen. Schon jetzt sei die verfassungsrechtlich gebotene Vergleichbarkeit von Arbeit und Lernen in den beiden Schulen nicht mehr gegeben, in Zukunft noch weniger, betonen die Antragsteller. Nach dem bisher geltenden Verfahren wären 2001 an der St.-Elisabeth-Schule drei von rund 200 Schülern ausländischer Herkunft, an der Janusz-Korczak-Grundschule hingegen von rund 220 Kindern 81 ausländischer Herkunft und eine größere Zahl weiterer Kinder aus Aussiedlerfamilien. Der unverzüglich einzurichtende Runde Tisch mit Vertretern aus beiden Schulen, Verwaltung, Politik, Kindergärten, Orientierungsstufen und Eltern solle nach Lösungsmöglichkeiten suchen und bis Ende August ein Ergebnis vorlegen.

Die Antwort der Ratsmehrheit im Duderstädter Stadtrat auf den Vorschlag "Runder Tisch" ließ nicht lange auf sich warten, und auch darüber berichtete das Eichsfelder Tageblatt am 27. 4. 1998:

Grundschulen/Politiker diskutieren im Stadtrat über Anträge der neu gebildeten Oppositionsgruppe
Mehrheit lehnt Runden Tisch zur Integration ab

Duderstadt (sr). Die Frage, wie die Integration ausländischer Grundschul-Kinder auf mehrere Schultern verteilt werden könnte, stand einmal mehr im Mittelpunkt der Diskussion. Sie erfolgte im Rahmen der Sitzung des Rates der Stadt Duderstadt am vergangenen Freitag.
Zu diesem Punkt gab es einen Antrag der neu gebildeten Oppositionsgruppe aus WDB, Bündnis 90/Die Grünen und dem Ratsherren Hans-Georg Schwedhelm. Beantragt wurde, einen Runden Tisch zu bilden, an dem die Problematik diskutiert und nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden könnte. Bürgermeister Lothar Koch widersprach einem solchen Vorschlag, da er wenig effizient sei. Insbesondere die neueste schulrechtliche Lage sei so schwierig, daß es sinnvoller sei, mit Vertretern des Kultusministeriums, der Kirche, dem Schulträger und Juristen weitere Fachgespräche zu führen. Die Ergebnisse sollten in den Schulausschuß eingebracht werden, um sie dann dort zu diskutieren.
Wolfgang Hirschfeld von der Gruppe meinte dagegen, solche Gespräche, wie von Koch vorgeschlagen, hinderten nicht die Bildung eines Runden Tisches. Beide Dinge seien parallel machbar und sinnvoll. In der sich anschließenden Abstimmung wurde der Vorschlag Kochs mit der Mehrheit von CDU und SPD angenommen, der Antrag der Gruppe mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.

Der Ratsbeschluss vom 24.04.1998 hatte ausweislich des Protokolls den folgenden Wortlaut:

Beschluß:

1. Die Stadt Duderstadt anerkennt die außergewöhnlich schwierige pädagogische und soziale Situation an der Janusz-Korczak-Grundschule in Duderstadt, die durch den drastisch erhöhten Anteil an Ausländerkindern entstanden ist.

2. Der Stadtdirektor wird vor diesem Hintergrund gebeten, die bisherigen Gespräche zügig fortzusetzen und unter Einschluß aller Beteiligten die rechtlichen und sachlichen Überlegungen in evtl. mögliche Lösungsvarianten einzubringen.

3. Der Fachausschuß wird über diese Prüfergebnisse frühestmöglich beraten. Die Willensbildungen des Verwaltungsausschusses und des Rates werden danach vorgenommen.

22 Ja, 5 Nein

Danach wurde noch über den Antrag der Gruppe vom 06.04.1998 auf unverzügliche Einladung zu einem öffentlichen runden Tisch abgestimmt:

Abstimmungsergebnis: 5 Ja, 22 Nein
Damit ist der Antrag abgelehnt

(Eingegeben am 26. November 1999)

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